Die phantastische Ausstellung «Tao und Zen» der in der Schweiz lebenden japanischen Kalligraphin und Künstlerin Sanae Sakamoto im Lassalle-Haus berührt Seele und Geist.
Musik, Lebensfreude und Barmherzigkeit
Für westliche Kunsthistoriker stehen die europäische und die amerikanische Kunst im Fokus des Interesses – Kunst, die sich jedoch kaum jemals ohne Einflüsse aus anderen Kulturkreisen entscheidend entwickeln konnte. Die Frage ist: wie nah, wie verständlich ist für uns das sogenannt Fremde? Ergründen wir die Bedeutung der Südseebilder Gauguins, können wir das Orientalische bei Ingres nachempfinden, die Chinoiserie bei Tiepolo und die herbe Schönheit der von afrikanischen Skulpturen inspirierten «Demoiselles d’Avignons» Picassos?
Kunst bildet seelisches und äusseres Geschehen ab und reflektiert Einflüsse. Ob die Einflüsse aus dem Alltag, dem zwischenmenschlichen Bereich, den Gedanken nun von Menschen aus der einen Kultur oder aus einer anderen Kultur einfliessen – sind da nicht oft Gemeinsamkeiten festzustellen? Auf ideale Weise zeigt dies Sanae Sakamoto in ihrer Kalligraphie und Malerei auf. Die japanische Tradition und Philosophie sowie Inhalte des Zen stehen in den Bildaussagen nicht losgelöst da. Sie fliessen ein in eine dichte Bildsprache der Künstlerin auf der Basis einer bewegenden Menschlichkeit, die verbindenden, Grenzen sprengenden und spirituellen Charakter besitzt. Dadurch werden Kalligraphie und Gemälde verständlich, leicht lesbar und die Intentionen spürbar, für jeden Betrachter und jede Betrachterin.
Über Kulturen hinweg verständliche Themen
Sanae Sakamoto löst in ihren Kalligraphien Empfindungen und Gedanken aus. Sie tut es mittels schwarzer Tusche – genannt Gen-Schwarz (die Dunkelheit, der Uranfang) – und der seit Tausenden von Jahren lebendigen Schrift, der Kalligraphie. Und ab und zu fügt sie etwas Pigmentfarbe hinzu. Für die Künstlerin ist die Lehre vom Tao – der Weg – zentral, die auf Laotse zurück geht und die sich später mit der Schule des Zen vermischt hat. Zen als Schule der Meditation jedoch beruht auf keinem bestimmten Lehrtext, sondern wird von den Patriarchen weitergegeben. Das Wesen des Zen ist zeitlos, raumlos, ein Meer der Weisheit.
Die Bilder weisen, angeregt durch Lehren, Philosophen, Dichter und Schulen, Themen auf, die nicht nur allgemein menschlich, sondern auch über die Kulturen hinweg verständlich sind. In sehr direkter Weise überträgt Sakamoto Emotionen, Eindrücke und Themen: «Gaku. Musizieren» ist ein grosses Gemälde mit ausladenden Tusche-Schwüngen und kecken, entzückten Goldstrichen. Spürbar, ja sichtbar drückt es die Lust am Hervorbringen von Tönen aus. Es bildet eine Art Trilogie mit dem Bild «Yorokobi. Lebensfreude» und «Kizuna. Verbundenheit». Lebensfreude, Fröhlichkeit und Lachen sind der Motor des Lebens, schreibt die Künstlerin dazu. Das Bild wiederspiegelt die Lebendigkeit, die Agilität im Sein und Glücksempfinden mit Kreisen, Schlingen, Verbindungen, in der Form als würden die Linien tanzen, sich umarmen, feiern. Abrundend betont «Verbundenheit» die menschliche Qualität, in Freud und Leid zusammen zu halten. Das Ausgelassene braucht einen Hafen, wenn es Abend wird.
Mitgefühl und Barmherzigkeit
Die Bandbreite der Themen ist faszinierend. Zentral ist die ausgedehnte Serie «Kan ji zai. Barmherzigkeit», eine Grundlage des Zen. «Alle Lebewesen mit den Augen des Mitgefühls betrachten» ist die Umschreibung aus dem Japanischen. Die Barmherzigkeit versteht die Künstlerin zudem im Sinne der Vergänglichkeit: Alles Vergängliche ist Gnade aus dem Himmel. Barmherzigkeit bedeutet, alles annehmen zu können, sagt sie.
Jedes Bild taucht die Betrachterin und den Betrachter durch die Ausdrucksweise und mittels beigelegtem Zitat der Philosophen oder der Umschreibung der Künstlerin in eine Welt bedeutungsvoller Tiefe; denn jede Darstellung transportiert Inhalt und Substanz. Das Bild mit starken, prägnanten Pinselstrichen heisst «Shi Shin. Wahres Sein» und ist begleitet von den Worten des Zen-Meisters Dogen (1213-1253): «An seiner Aufrichtigkeit erkennst Du sein wahres Sein».
Formale Klarheit prägt die Bilder «Miru. Achtsamkeit», «Kiyoi. Klarheit», «Kû. Leerheit», «Michi. Der wahre Weg», «Wa. Harmonie» und «Ai. Liebe». Oft reichen wenige Linien, um es auf den Punkt zu bringen. Leicht lesbar, als sei die Form jene, die für den Begriff vorgesehen ist.
Zum Ursprung zurückkehren
Die Natur spielt eine wichtige Rolle: «Izumi. Quelle», als doppeldeutiges Bild, mit einem Zitat von Laotse und einer freien, formalen Umsetzung Sakamotos. Die Künstlerin nutzt gekonnt die Freiheit, ganz losgelöst von Schrift und festgelegter Form «abstrakt» und angeregt aus westlicher Kunst, wie sie sagt, zu gestalten. Hier ist das Bild «Kon. Ursprung» anzusiedeln, nach Laotse: «Ich versenke mich in Stille. Zehntausend Dinge kommen und gehen, alle kehren wieder zurück zu ihrem Ursprung.» Zum Ursprung zurückkehren heisst sich leermachen für Neues. Das Bild zeigt breitflächige aber durchlässige, schwingende Linien, die einen Berg formen.
Immer wieder stellt Sakamoto dem Bedeutungsschweren Leichtes, Fröhliches entgegen. «Mishô. Von Herz zu Herz» interpretiert einen Kôan: «Buddha hält eine Blume hoch, ohne Worte, sprechen von Herz zu Herz». Die rote Blume im Feld leuchtet keck und erfrischend. Wunderbar auch «Buji. Akzeptieren». Da sind beruhigende, klare Striche, die Angst nehmen.
Der Kreis, das ist «Ensô». Alles drin, nicht zu viel, nicht zu wenig, gerade richtig, schreibt Sakamoto. Sie malt den leeren Kreis und «Ensô. Nyo ze. Der Kreis. Weitergeben». Damit geht sie einen Schritt weiter und schreibt: «Gedanken weitergeben von Herz zu Herz, ohne Worte». Im Kreis machen sich Zeichen selbständig, schwärmen aus. Es ist das Vermitteln, der Fluss, die Bewegung, wenn das Gegenüber dazukommt.
Die Künstlerin gibt durch ihre Arbeit weiter, wodurch sie berührt und bewegt ist. Sie nimmt die Betrachterin und den Betrachter in eine Welt mit, die zuerst fremd erscheint. Bis jene, aufgrund der prägnanten Formen und Worte spüren und erkennen, wie nah ihnen die Darstellungen sind – kulturelle Schranken fallen. Mensch ist Mensch.
Pia Zeugin, Kunsthistorikerin, Basel
Ausstellung bis 23. November, täglich 10-18 Uhr
Finissage: Sonntag, 23. November , 15-17 Uhr
Informationen und Anmeldung