09.07.2014 15:51

Zeiten des Innehaltens, Zeiten der Gemeinsamkeit

Patmos-Reiseimpressionen

Die Frauenreise nach Patmos, begleitet von und geleitet durch Elisabeth Schwendinger, ist eine besondere Reise: Patmos ist nur per Schiff von Kos aus zu erreichen; pulsiert noch nicht nach den grossen Strömen der Sonnenhungrigen; in wenigen Dörfern leben ungefähr 3000 Einwohnerinnen und Einwohner; gehört zur Inselgruppe des Dodekanees und ist von der UNESCO im Jahre 2006 zum Weltkulturerbe erklärt worden. Karg ist die Landschaft, vulkanischen Ursprungs die Hügelzüge, buschig verwachsen, üppig und wohlriechend die Macchia, blühende Oleanderbüsche und überbordend rote Geraniensträucher an Strassen und Plätzen tunken die Sinne. Farben des Meeres, die sich je nach Tageszeit und Windverhältnissen bald voneinander unterscheiden und dann wieder ineinander fliessen – ganz so, als ob es Myriaden von Blau gäbe. Die Aufteilung in Himmel und Erde sei nicht die richtige Art, eine Ganzheit zu betrachten, schrieb Wieslawa Szymborska, die polnische Lyrikerin und Literaturnobelpreisträgerin. Wie sehr dies auf Patmos und den «Atem» dieser Insel zutrifft!

Offenbarung in der Höhle

Ungefähr zur Zeit des Kaisers Domitian ist der Heilige Johannes auf die Insel Patmos verbannt worden und gemäss Überlieferung ist ihm in einer Höhle die Johannes-Apokalypse offenbart worden. Unter Bäumen einige Texte aus der Offenbarung gemeinsam gelesen, dann vielleicht mit Textfragmenten oder mit der wuchtigen Dynamik des Textes oder mit der Bitte um Gnade oder Klarheit – oder um beides oder weder um das eine noch das andere  – in die Kühle der Grotte hinab gestiegen, zufällig durch das Fenster in die Weite der Ägäis geschaut, dann in dieser Höhle ruhig geworden, das Kommen und Gehen des Atems wahr genommen und vielleicht sein eigenes Gebet gefunden. «Beten ist eigentlich das Wichtigste im Leben» schrieb Robert Lax, der zum Katholizismus Konvertierte und Dichter, welcher bis zum Jahre 2000 auf Patmos lebte.

Zeit für Stille

Zeiten des Schweigens, zum Beispiel frühmorgens beim Hinaufgehen zum Johanneskloster auf der Chora oder beim Wandern zur Mönchswiese, sind der Reiseleiterin wichtig und sie lädt die Frauen immer wieder zur Stille ein. Gehen und Schweigen lenkt die Wahrnehmung in unser eigenes Inneres und wir hören uns selber. Weit geöffnet haben sich für uns auch die Türen des griechisch-orthodoxen Frauenklosters Evangelismos. Wir sind zur Vesper eingeladen worden. Eine Griechin und sehr gut deutsch sprechende Nonne hat erzählt: u.a. über die leidvolle Geschichte der Inseln unter den Besatzungsmächten, über die beeindruckende Leistung der Nonnen, welche die rauen Kirchenwände alle eigenhändig bemalt haben, über die Anordnung der Ikonen an der Ikonostase und die Bedeutung des sakralen Raumes vor und hinter der Ikonostase.

Heitere und andere Gespräche

Den Zeiten des Innehaltens und des Für-sich-Seins stehen die Zeiten der Gemeinsamkeiten reich gegenüber. Es sind die vielen heiteren und anderen Gespräche – während des Fluges, beim Essen, Baden, beim Warten auf die Fähre, beim Taxifahren –, es sind die Gesprächsrunden zu Beginn eines neuen Tages im Garten des Hotels in Grikos, die alle zusammen genommen ein buntes Gewirr von Interaktionen und sozialer Präsenz schaffen. Intensiver und lebendiger Präsenz. So wird Reisen mit der sehr kompetenten und ausgesprochen sorgsamen Leiterin zu etwas Gemeinsamem. Rose Ausländer, Jüdin und österreichisch-ungarische Lyrikerin, erinnert uns an diese Gemeinsamkeit, die weit mehr meint als die Reise zwischen Herkunfts- und Zielort, wenn sie schreibt:

 Vergesset nicht

Freundinnen und Freunde

Wir reisen gemeinsam

 

Marlise Küng

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