08.08.2014 10:12

7. Aug. 2014: Sonn- und Schattseite

Zu Fuss nach Jerusalem - Pilgern von Südtirol nach Kärnten

Der einfachste Weg von Maria Luggau das Lesachtal auswärts ist die Bundesstrasse. Sie wurde vor wenigen Jahrzehnten modernisiert, sodass über die Bäche aus den Seitentälern immer lange Brücken führen. Da die grösseren Orte alle auf der Sonnseite des Tales liegen, die sonnenbeschienen und warm ist, läuft auch diese Hauptstrasse auf der Nordseite des Tales entlang. Die Strasse fällt kontinuierlich leicht und ist angenehm zu gehen, allerdings ist der Teer nicht für alle förderlich und die Verkehr ist zwar nicht besonders stark, aber zwei Autos plus Fussgänger gleichzeitig nebeneinander haben normalerweise nicht Platz. Ausserorts gibt es keinen Gehsteig.

So habe ich mich entschlossen, soviel wie möglich auf der Schattseite des Tales, wenn möglich der Gail entlang unter den steilen Abhängen zu laufen. Für lange Strecken gibt es Wirtschaftswege, teils Wanderwege. Doch meine Karte hatte eine Überraschung bereit: Sie war nicht auf dem neuesten Stand. Ein Wegstück entlang der Gail, der auf meiner Karte angezeigt war, existiert nicht mehr. Ich suchte vergeblich zunächst zwischen Brennnesseln, dann im Unterholz des Waldes auf einem steilen Abhang nach dem Einstieg des Weges, doch umsonst. So liefen wir auf der Strasse weiter bergwärts und fragten bei einem Bauernhof, die uns noch weiter bergauf schickten. Schliesslich kamen wir auf einen Kamm unter dem nächsten Dorf, von wo wir eine herrliche Aussicht über die Schlucht hinunter zur Gail, auf die gegenüberliegende Sonnseite und nach Süden in die Karnischen Alpen hatten. Der Weg am Fluss entlang im Tal hatte seinen besonderen Reiz: der einem Wildbach gleich laut rauschende Fluss, die riesigen Gesteinsbrocken im Flussbett, die von Hochwassern regelmässig weitergeschoben werden, an einzelnen Stellen weitläufige Schotterbänke. Doch Aussicht hatten wir da unten nur wenig: eng ist das Tal am Boden.

Der Weg über den Hügel und bergauf weitete unseren Blick: Wir konnten hinunterschauen und in die
Weite des Tales blicken, aber auch in das Offene der Berge. Der Umweg über die Hügel zeigte sich als herrlicher Ausflug in die Höhe mit Aussicht, ruhigem Weg und abwechslungsreichem Auf- und Abstieg. Schön war dieser erzwungene Umweg!

Die Sonnenseite ist oft die angenehme Seite des Lebens, die weniger Anstrengung benötigt, die wärmer ist, eher die breit ausgetretene Strasse. Sie kann allerdings eintönig werden, ja vielleicht sogar zu wenige Herausforderungen an uns stellen. Die Schattseite ist anstrengender, hat unerwartete Unwegsamkeiten bereit, doch auch wunderbare Überraschungen und Weitblicke.

Im Nachhinein bin ich dankbar für diese Herausforderung: Sie zeigte mir mehr, als ich geplant hatte.

 Franz Mali

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