Synodalität
Die Kunst, gemeinsam gute Entscheidungen zu treffen
Von Toni Kurmann SJ, Direktor Lassalle-Haus
Viele Menschen sprechen heute der – katholischen – Kirche rundheraus jede Reformfähigkeit ab, und in der öffentlichen Meinung sind Unbehagen und Unverständnis darüber allgegenwärtig, wie man sich mit gesellschaftlichem Mainstream und Mehrheitsvoten nur so schwer tun kann.
Umso auffälliger war, dass viele nichtkirchliche Medien über die in Rom abgeschlossene Bischofssynode zum Synodalen Prozess berichteten – zudem in einem, wenn auch verhaltenen, so doch optimistischen Grundton. Dabei wurden Neuerungen wahrgenommen, die tatsächlich historische Dimensionen aufweisen:
- Vorausgegangen war ein weltweiter Beratungsprozess mit dem Anspruch, möglichst viele Menschen und Institutionen zu integrieren. Dahinter steht das Vertrauen darauf, dass Menschen, die aus unterschiedlichsten Erdteilen, Kulturen, sozialen Erfahrungen und Denkschulen kommen, am runden Tisch im Sitzungssaal in eine Gesprächskultur auf Augenhöhe finden.
- Der Teilnehmerkreis ging diesmal weit über das traditionelle Bischofskollegium hinaus. Gleichberechtigt waren sie in die Dynamik der Beratungen eingebunden – was sich nicht zuletzt im medialen Echo gerade auf die Stimmen der teilnehmenden Frauen zeigte.
- Papst Franziskus überraschte mit einem Musterbruch, als er das in Abstimmungen verabschiedeten Schlussdokument unmittelbar anerkannte. Bewusst verzichtete er auf sein Recht, die erzielten Ergebnisse in einem eigenen Schreiben autoritativ zu interpretieren.
In den Augen demokratisch geprägter Menschen mag diese Form der Partizipation unvollkommen scheinen.
Ganz nach dem Motto: Alle dürfen mitreden, aber nur solange das genehm ist, und am Ende gilt doch das Recht des Stärkeren… Diese Frust-Erfahrung beobachten wir nicht nur im kirchlichen Betrieb, sondern auch in Unternehmen und Politik immer dann, wenn Partizipationsprozesse nicht ernsthaft geführt werden.
Ganze Demokratien geraten unter Druck, wenn sich systemische Meinungsbildung und Konsensfindung als störanfällig oder sogar dysfunktional erweisen.
Gegeneinander statt Miteinander. Bekämpfen statt gestalten: Es gibt leider zu viele bedrohliche Beispiele dafür, im Kleinen wie im Grossen, wohin Polarisierung und unversöhnliche Radikalisierung führen.
Wollen wir ein System, in dem nur die lautesten Stimmen, die heftigsten Pressuregroups, die mächtigsten Partikular-Interessen gewinnen? Oder setzen wir uns ein für eine Kultur des Miteinanders – eine Kultur, die nicht auf Sieg und Niederlage aus ist, sondern auf gemeinsame Transformation.
Von einem sagenhaften „Festmahl für alle Völker“ spricht der Prophet Jesaja (Jes 25,6). Das ist nichts anderes als die Vision eines vielfältigen Miteinanders und einer Kultur, die verbindet, statt Grenzen zu ziehen.
Es ist die Vision eines synodalen Denkens und Handelns.
Nüchtern betrachtet beschreibt „Synodalität“ ein methodisch strukturiertes Vorgehen. Ihr zentrales Anliegen ist es, gemeinsam gute Entscheidungen zu treffen. Beides ist wichtig: Die Gemeinschaft und die Güte im Sinn von Qualität. Dabei lässt sich die Entscheidungsqualität in zwei Dimensionen beurteilen.
-
- Ist die Lösung dem Gemeinwohl verpflichtet?
- Ist sie realistisch und lässt sich mit vorhandenen Ressourcen umsetzen?
Dieser Prozess funktioniert, wenn die Grundvoraussetzung gelingt: Und am Anfang tatsächlich ein neugieriges und unvoreingenommenes Hören steht. Wer gleich unverrückbare Forderungen stellt und rote Linien zieht, hat schon verloren.
In einer wirklich synodalen Kirche ist es theologisch gesprochen eine gemeinschaftliche Aufgabe, den Willen Gottes in der Zeit zu erkennen. Deshalb haben alle – gerade auch jenseits der etablierten Interessensgruppen und unabhängig von Bildung, Position oder sozialem Status – das Recht gehört zu werden. Erst damit kann der Blick weit werden und das Gemeinwohl in den Fokus rücken. Dahinter steht die Einsicht, dass angesichts globaler und existenzieller Herausforderungen individuelle und lokale Ansätze nicht weiter führen.
Ein synodal geprägter Prozess der Entscheidungsfindung organisiert sich in drei Stufen:
- Am Anfang steht das unvoreingenommene Hören möglichst aller Stimmen.
- Der zweite Schritt führt von der Einzelmeinung zum dialogischen Verständnis und kollektiven Verstehen.
- Aus Antworten folgt die Übernahme von Verantwortung: und gemeinsame nächste Schritte.
Dieses Vorgehen ist nicht nur in der ignatianischen Spiritualität fest verankert. Aber wir Jesuiten stehen mit unserer Geschichte für die Attraktivität dieses Prinzips, wir leben es auch im Lassalle-Haus – und wissen aus Erfahrung um die Wirkmacht selbst ausserhalb genuin spiritueller Dimensionen. Nicht ohne Grund hat sich das Lassalle-Institut den Claim gegeben: „Gut entscheiden.“
Ist synodales Entscheiden einfach? Ja.
Aber es verlangt grosse Ernsthaftigkeit, Ehrlichkeit, Disziplin und Mut. Dann wird es zu einem mächtigen Werkzeug auch in Fragen der Führung und strategischen Entwicklung.
Ergebnis eines Perspektivenwechsels aus einer synodalen Haltung heraus ist mehr als Strukturwandel: eine inklusive Kultur des Zusammenlebens, die sich am Gemeinwohl aller orientiert – weil sie nicht einer ideologischen Illusion der „einzig wahren Lösung“ erliegt, sondern individuelle Bedürfnisse und Sehnsüchte nicht aus dem Blick verliert.