09.12.2024 20:15
von Kommunikation

Interview

Was macht einen guten Zen-Lehrer aus?

Peter Terness und Niklaus Brantschen
Peter Terness und Niklaus Brantschen

Der Zen-Lehrer Peter Terness über seine Begegnung mit Lassalle, seine Freundschaft zu Niklaus Brantschen und Humor im Zen.

 

Peter Terness, Sie blicken auf eine Karriere als Wissenschaftler zurück…

Nach meiner Ausbildung für Innere Medizin habe ich einen ungewöhnlichen Schritt getan und bin in der Forschung gelandet. Bis 2015 war ich in Heidelberg Professor für Immunologie. Als ich ausgestiegen bin, konnte ich meinen Fokus ganz auf Zen legen.

Diese Konsequenz hat Niklaus Brantschen offenbar so beeindruckt, dass er Sie als Zen-Lehrer ins Lassalle-Haus Bad Schönbrunn geholt hat.

Zen ist für mich ein Lebensweg seit meiner Jugend. Noch in Rumänien begann ich in Eigenregie Zen zu praktizieren. Damals fiel mir ein Buch von Pater Lassalle in die Hand. Als ich 1982, zur Zeit der kommunistischen Verfolgung, völlig mittellos im Westen ankam, erzählte mir jemand von einem Sesshin mit Pater Lassalle bei den Franziskanern im Altmühltal. Da musste ich unbedingt dabei sein.

Wie haben Sie Lassalle erlebt?

Nach meiner Lektüre hatte ich bereits ein Bild, bevor ich Pater Lassalle persönlich kennenlernte. Ich war damals wirklich ein armer Schlucker und hatte unglaubliche Ehrfurcht vor ihm. Doch der grosse Lassalle entpuppte sich als sehr bescheidener Mensch. Er war bodenständig, auch in der Sprache: Sie war einfach und eben nicht hoch philosophisch. Für meine eigene Zen-Praxis war Lassalle so etwas wie ein Trigger, aber ich wurde nicht sein Schüler.

Sondern?

Beim Dokusan kokettierte Pater Lassalle: „Ich werde von Jahr zu Jahr gebrechlicher und dümmer.“ Und weil er nicht sagen konnte, wie lange er noch zu Sesshins nach Deutschland kommen könne, schickte er mich zu einem jungen, dynamischen Zen-Lehrer. Das war P. Willigis Jäger. Mittlerweile bin ich selbst an einem Punkt im Leben angekommen, um mit Lassalle sagen zu können: Ich werde von Jahr zu Jahr dümmer…

Nun sind Sie selbst Zen-Lehrer.

Als ich 2011 meine Lehrbefugnis bekam, gründete ich in Heidelberg eine kleine Zen-Gruppe. Wir trafen uns zuerst in meiner kleinen Wohnung, dann in einer alten Kapelle im Klinikum. Nach meinem aktiven Berufsleben habe ich mir einen neuen Beruf gewählt: nämlich die Zen-Lehre zu vermitteln. Schliesslich konnten wir zur Seelsorge auf den Uni-Campus umziehen.

Welche Menschen lernen Sie dabei kennen?

Als Zen-Lehrer versuche ich immer zu verstehen: Warum ist eine Person da? Was bewegt sie? Befindet sie sich in einer Lebenskrise? Kämpft sie mit psychischen Problemen, was heutzutage leider weit verbreitet ist. Ist sie ernsthaft auf der Suche? Und dann geht es mir auch um die Zen-Erfahrung, die jemand mitbringt: Wie ist die Persönlichkeit gestrickt? In der Medizin gibt es keine Pille für alle Krankheiten, und im Zen gibt es nicht nur den einen Weg. Welche Praxis passt zu wem? Das herauszufinden, ist eine wichtige Aufgabe.

Macht das einen guten Zen-Lehrer aus?

Es geht ganz wesentlich um die Fähigkeit, jemanden zu einer spirituellen Erfahrung zu führen. Menschen sind auch in dieser Beziehung ganz unterschiedlich. Eine gute Zen-Lehrerin oder ein Lehrer ist wie ein guter Arzt und wird sich immer bemühen, den individuell richtigen Ansatzpunkt zu finden.

Hat das etwas mit Ihrem ursprünglichen Beruf zu tun?

Vielleicht liegt das wirklich an meinem medizinischen Hintergrund, dass mir dieser Aspekt so wichtig ist. Aber es hat auch mit meiner Persönlichkeit zu tun. Immer wieder in meinem Leben war ich gefordert, Menschen verstehen zu lernen. Menschen interessieren mich, sie sind mir wichtig. Da habe ich während meiner Weltreisen oder auch in den Slums von Kalkutta prägende Erfahrungen gemacht.

Wie ist Ihre Verbindung zu Niklaus Brantschen entstanden?

Niklaus Brantschen habe ich in Siebenbürgen, an der Grenze zwischen Rumänien und Ungarn, kennengelernt. Als ich im dortigen Zen-Zentrum Posticum auf Niklaus traf, war das freundschaftliche Verbundenheit auf den ersten Blick. Bei Niklaus’ offizieller Verabschiedung im Posticum durfte ich Gastredner sein. Aber seine Einladung ins Lassalle-Haus Bad Schönbrunn musste ich zunächst abblocken: Ich habe wirklich viel um die Ohren!

Irgendwie ist es Niklaus Brantschen doch gelungen: Sie haben Ihren Einstand im Lassalle-Haus gegeben – und der nächste Kurs steht bereits Ende Januar 25 auf dem Programm.

Das Lassalle-Haus hat eine so positive Ausstrahlung. Es ist ausgesprochen gut geeignet für die Zen-Praxis, für Einkehrtage und Retreats. Es ist grossartig organisiert, und die Räume haben eine wunderbare Atmosphäre. Allein schon das Zendo! Aber auch diese wunderbare Lage etwas ausserhalb und nicht im Grossstadt-Trubel ist perfekt.

Prägen solche Orte die Zen-Erfahrung?

Ja, natürlich! Der äußere Rahmen und Ablauf eines Retreats wirken sich auf die Psyche aus. Der inhaltliche Teil ist immer gleich: Ich bin im Lassalle-Haus kein anderer Zen-Lehrer als sonst wo. Aber die Abläufe reibungslos zu organisieren, ist die eigentliche Herausforderung, wenn man in ein neues Haus kommt. Ein Zen-Retreat lebt davon, dass es gut strukturiert ist. Wenn man einmal beginnt, muss alles störungsfrei ablaufen.Wann finden die Sitzzeiten und Mahlzeiten statt, wann muss ich mein Zimmer räumen, wo kann ich mein Gepäck deponieren? Es mögen vielleicht banale Dinge sein, aber sie sind wichtig.

Wie ähnlich sind sich Niklaus Brantschen und Peter Terness?

Wir sind „verwandte Seelen", nicht nur in der Persönlichkeit, sondern in der ganzen Ausrichtung, der Spiritualität und Philosophie. Wir beide sind im Buddhismus und Christentum verankert. Ich fühle mich auch als Zen-Lehrer sehr dem Christentum verbunden. Und wir kommen beide aus derselben Zen-Tradition – in der Lehre, ihren Ritualen und Abläufen beinahe identisch.

Ich erlebe Sie beide auch in einer gewissen vergnügten Grundfröhlichkeit. Irre ich mich?

Was ich an Niklaus besonders mag, ist sein Humor und seine Offenheit Menschen gegenüber. Er verfügt über eine ganz besondere Menschlichkeit. Er hat überhaupt nichts vom verknöcherten, harten „Harakiri-Zen-Meister“. Er versteht auf ganz eigene Weise, Verbindungen zu Menschen herzustellen. Das verbindet mich mit ihm.

Welchen Wert hat ein Pater Lassalle für die heutige Zeit?

Lassalle ist zeitlos. Die Werte, für die er eintrat, sind für die Menschheit wichtiger denn je: Nächstenliebe, Toleranz, Empathie und Einsatz für andere. Ich fürchte mittlerweile, diese Werte entscheiden darüber, ob wir Menschen untergehen oder bestehen können.

Zen-Kurse mit Peter Terness mit Lassalle-Haus

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