15.04.2019 14:23

Teamfasten im Lassalle-Haus

Seit Jahren wird im Lassalle-Haus regelmässig gefastet – d.h. es werden Fastenkurse angeboten, in denen die spirituelle, körperliche und soziale Dimension des Fastens im Mittelpunkt stehen. Wie wäre es denn, wenn auch das Team sich einer Fastenwoche anschliessen würde? Der Arbeit nachgehen, aber am Mittag gemeinsam im Schweigen eine Fastensuppe einnehmen, in der Gruppe die Leibübungen mitmachen, einem Vortrag lauschen? Siebzehn Mitarbeitende haben das Experiment gewagt, quer über alle Abteilungen: Technik, Hauswirtschaft, Service und Administration. «Es war zwar streng, arbeiten und fasten, aber es ist gut gegangen», findet Andja rückblickend. Fatbardha und Ashrije ist es sogar ausgesprochen leichtgefallen – die beiden sind gewohnt, während des Ramadan tagsüber gar nichts zu essen oder trinken. «Mit der Fastensuppe am Mittag war es für uns easy», lachen sie. Die ersten zwei Tage waren für Blagica schwierig, doch dann fühlte sie sich so gut, dass sie gar nicht aufhören wollte zu fasten. Ob es allen so easy vorkam, sei dahingestellt – die strahlenden Gesichter nach dem Fastenbrechen bestätigen aber: es war ein bereicherndes Erlebnis für alle, die mitgemacht haben. Das waren neben dem Team auch zwei der Langzeitgäste, und Christiane H. hat sich bereit erklärt, ihre Erfahrungen mit uns zu teilen.

 

Einfach Fasten und Schweigen

Kaum war ich Mitte Februar 2019 als Langzeitgast im Lassalle-Haus angekommen, springt mir eine Ausschreibung für die Mitarbeitenden ins Auge. «Statt Fast Food & Small Talk einfach Fasten & Schweigen» – Interne Fastenwoche (30.03. - 05.04. 2019) lese ich da.
Dass in einem Haus, in dem seit vielen Jahren hochqualifizierte Fastenkurse angeboten werden, auch die Möglichkeit des Fastens für die Belegschaft besteht, fasziniert mich. Ausserdem finde ich die Idee des Initiators, Sam Hug, dass die Mitarbeitenden des Lassalle-Hauses auch an einzelnen Programmpunkten des parallel stattfinden Fastenkurses teilnehmen können, genial.

Spontan – ohne Zögern melde ich mich an. Zwei Stunden später: Die ersten Zweifel steigen hoch. Gut, ich habe schon öfter gefastet, aber wann genau war es denn das letzte Mal? Bei ehrlichem Hinsehen muss ich mir eingestehen, dass meine letzte Fastenerfahrung bestimmt schon 10 Jahre zurück liegt. Sicher, ich hatte «berechtigte» Ausreden: Eine hohe Arbeitsbelastung in der Fastenzeit mit vielen Autofahrten speziell an den Abenden... Etwas beschämt gestehe ich mir ein, dass ich diese, im Christentum doch so wichtige Tradition des Fastens einfach habe schleifen lassen. Ein Grund mehr, jetzt die Gelegenheit beim Schopf zu packen! Ausserdem habe ich als Langzeitgast im Gegensatz zu den anderen Mitarbeitenden des Hauses das Privileg, nur 4 Stunden am Tag arbeiten zu müssen. Also: Wenn nicht jetzt – wann dann?!

Nach dem vorbereitenden Info-Treffen mit der erfahrenen Fastenkursleiterin Ursula Popp sind auch die letzten Zweifel wie weggeblasen. Ausserdem spüre ich schon jetzt, wie die Gruppe von 16 weiteren «Lassalle-Haus-Mitfastenden» auch mich mitträgt. Nach dem Eingangsritual mit Glaubersalz kann also das Abenteuer Fasten beginnen.
Am 2. Fasttag nehme ich mich bei meiner Arbeit in der Küche ziemlich verlangsamt wahr und will eigentlich nur in Ruhe gelassen werden. Mit möglichst grosser Distanz zu den geschäftigen Aktivitäten schäle und schnipple ich das Gemüse. Doch diese Düfte: Currysauce für indisches Gemüsecurry – betörend! Oder auch der feine süssliche Geruch von erhitzten Himbeeren, für eine leckere Himbeercreme...! Im Normalfall lassen mich die netten Köche/Köchin gerne von den Speisen kosten. Das ist jetzt ein absolutes Tabu. Ich arbeite an meinen Gedanken und versuche, mich nicht von den Düften bestimmen zu lassen. Ich denke an die Menschen, mit denen ich vor vielen Jahren im Dürregebiet des brasilianischen Nordostens gearbeitet habe. «Estou com fome – ich habe Hunger» – wirklichen Hunger – wie oft habe ich diesen Satz gehört! Und wie viele Menschen leiden auch heute noch Hunger, bzw. sind unter- oder mangelernährt. Nach Berechnungen der WHO trifft dies auf knapp 800 Millionen Menschen zu – ein Skandal im 21. Jahrhundert. Meine kleinen Wehwehchen, auch die sich langsam einstellenden Kopfschmerzen werden jetzt eher peripher.

Der 3. Fasttag wird von vielen Fastenexperten als der kritischste beschrieben – so auch bei mir. Der Kreislauf liegt am Boden und trotz morgendlicher Yogaübungen bei offener Balkontür habe ich den Eindruck, zu meiner Arbeit in der Küche zu wanken. Heute habe ich kein Problem mit den Düften, auch kein Hungergefühl, allerdings schleppe ich mich mit einer grossen Schwere und einem Gefühl der Unlust durch den Vormittag. Dann tut es gut, die Fastensuppe gemeinsam mit dem Fastenkurs in Stille einnehmen zu können. Schnelles und hastiges Essen ist jetzt nicht mehr möglich. Jeder Löffel Suppe ein Geschenk der Natur, vieler Menschen, die dafür gearbeitet haben, letztlich ein Geschenk Gottes an mich.

Ab Tag 4 habe ich das Gefühl, als ob in mir von unbekannter Hand ein Schalter umgelegt wurde. Schon beim Aufwachen spüre ich eine frische, positive Energie im ganzen Körper. Dieser Energieschub trägt mich durch die Meditation und den ganzen Tag. Gleichzeitig nehme ich eine zunehmende Sehnsucht nach Stille wahr. Ich will nicht viel reden, eigentlich nur da sein. Beim nachmittäglichen Spaziergang nehme ich das frische Grün der aufbrechenden Knospen mit geschärften Sinnen wahr. Eine Welle von Zärtlichkeit erfasst mich, als mich ein kleines Eichhörnchen in einem Abstand von nur 2 m ca. 30 Sekunden lang interessiert anschaut, bevor es flink davon flitzt. Eine tiefe Verbundenheit mit allem, was lebt, dies habe ich am Ende der Fastenwoche sehr viel stärker empfunden. Verbundenheit, besonders mit allen Mitfastenden und mit den Menschen auf unserer Welt, die nicht freiwillig fasten, sondern aufgrund ungerechter Strukturen wirklich Hunger leiden.

Ausserdem spüre ich eine neue Dankbarkeit, dass ich meine Grundbedürfnisse wie Essen, Wohnung, Kleidung so selbstverständlich stillen kann und bitte um Bescheidenheit und das rechte Mass im Umgang mit den begrenzten Ressourcen unserer Welt.

Christiane H.

 

 

 

 

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