19.05.2015 09:50

Teresa von Avila

Therapeutische Tipps aus Teresas Mystik

Teresa von Avila kam am 28. März 1515 in Kastilien zur Welt. Ein halbes Jahrtausend trennt uns von dieser gescheiten, zu tiefer Freundschaft fähigen Frau, und bis heute spricht sie durch ihre Werke mit uns. Das Lassalle-Haus widmet der Mystikerin vom 5. – 8. November die Jubiläums-Tagung Ein Genie der Freundschaft. Wir freuen uns über alle, die mehr über diese grosse Persönlichkeit erfahren wollen.
Wir laden Sie zudem ein, mit Teresa durchs Jahr zu gehen. Jeden Monat finden Sie hier einen Impuls dazu – heute den dritten von Irene Leicht, Referentin an der Jubiläums-Tagung. Die evangelische Stadtkirchenpfarrerin in Freiburg im Breisgau sinniert über Teresas Balanceakt, „grenzenlos glücklich, absolut furchtlos und immer in Schwierigkeiten“ gewesen zu sein – und kristallisiert aus Teresas Mystik therapeutische Tipps.

Mystik, die mitten ins Leben führt

Von den Quäkern wird überliefert, sie seien „grenzenlos glücklich, absolut furchtlos und immer in Schwierigkeiten“. Was für die religiöse Gruppe mit Wurzeln im England der 1650er Jahre gilt, charakterisiert auch die Mystikern Teresa von Avila. Und genau damit kann sie uns heute nah und hilfreich sein.
Denn auch wir wären es natürlich gerne: grenzenlos glücklich und absolut furchtlos. Und selbstverständlich geraten auch wir immer wieder in Schwierigkeiten.

Grenzenlos glücklich: Das mag sich zunächst befremdlich übertrieben anhören. Doch bei Teresa trifft es zu. Nach fast vierzig Jahren, in denen sie sich sehr darum bemüht hat, anderen zu gefallen, erkennt sie, dass sie längst gefällt – ganz unabhängig von ihren Bemühungen. Der liebevolle Blick des göttlichen Freundes befreit sie. Vom Kreisen um sich selbst, von der Angst nicht zu genügen, von den Anstrengungen, es anderen recht zu machen; befreit auch zu einem kreativen, beziehungsreichen, tatkräftigen Leben. Sie ist glücklich, weil sie um ihr unbedingtes Angewiesensein auf diese Liebe von „anderswoher“ weiss. Das innere Beten, das sie für sich entdeckt hat, dieses „Verweilen bei einem Freund, mit dem wir oft allein zusammenkommen, einfach um bei ihm zu sein, weil wir sicher wissen, dass er uns liebt“ – das macht sie glücklich.
Teresa entwickelt eine Mystik des Dialogs. Sie erfährt, dass die fürsorgliche göttliche Gegenwart in ihr selbst wohnt. Was gibt es Besseres, als sich dieser Wirklichkeit immer neu zuzuwenden, sich ihrer zu vergewissern und sich mit ihr auszutauschen? Bei dieser verweilenden Kommunikation allerdings nehmen das Schweigen und Hören mehr Raum ein als das Reden.
Wie „eine orientalische Perle“, wie „eine Zwergpalme, die viele Schalen hat, die all das Köstliche umgeben“ oder wie eine Burg, „die aus einem einzigen Diamanten oder sehr klaren Kristall“ besteht – so beschreibt Teresa die aus der göttlichen Ebenbildlichkeit resultierende Schönheit und Würde dieser innerseelischen Wirklichkeit. Dabei weiss sie zugleich, dass der Mensch nicht Gott ist, sondern beide verschiedene Identitäten haben.
Viele Menschen tun sich heute schwer mit der ungebrochenen, personalen Vorstellung von Gott, wie Teresa sie vermittelt. Auch wenn sie selbst oft nicht-personale Bilder verwendet: Eine mystische Spiritualität in Teresas Gefolge setzt ein ansprechbares Du voraus, Beziehung und Beziehungspflege – die Liebe eben. Doch Teresa ist vor allem deswegen aktuell, weil sie dezidiert „ich“ sagt und damit anschlussfähig ist an unsere „Ich-Gesellschaft“. Ihre aus der Gottesfreundschaft kommende innere Souveränität wirkt bestechend und verlockend.
Wenn ich mich dagegen selbst anschaue: Ich sehe oft keinen Weg, mich von den subtilen, schon früh verinnerlichten elterlichen und sozialen Leistungsansprüchen zu befreien, mich von der gesellschaftlichen Ideologie der Selbstoptimierung, vom Konsumismus nicht auffressen zu lassen. Da bleibt nur, mich immer neu an diese bedingungslose, beglückende Liebe rückzubinden, die in mir lebt. Sie korrigiert mich, richtet mich wieder auf das Wesentliche aus und macht mich hoffentlich immer freier von den vielen lebensgefährdenden Fremdbestimmungen.
Teresas Mystik ist daher auch therapeutisch. „Wenn man aber über einen Kristall, der in der Sonne liegt, ein tiefschwarzes Tuch breitet, dann ist klar, dass die Sonne zwar auf ihn fallen mag, ihre Klarheit aber keinerlei Wirkung im Kristall hervorrufen wird“, schreibt sie. Von solchen schwarzen Tüchern der Angst, des Misstrauens, der Verletzungen und des Gefühls, zu kurz gekommen zu sein, ist meine wahre Würde meist mehr oder weniger zugedeckt, so dass sie nicht leuchten kann. Diese Tücher gilt es zunächst einmal freundlich und verständnisvoll anzuschauen.

Absolut furchtlos: Teresa kennt Angst und Furcht. Doch sie lernt, damit zu leben und sie zu überwinden, ermutigt von ihrem göttlichen Freund. Ihre therapeutische Ermutigung besteht darin, auf die eigene unbedingte Würde zu vertrauen und sich von den schwarzen Tüchern nicht abschrecken zu lassen. Das erfordert Geduld und Furchtlosigkeit, der Weg ist lang und beschwerlich. Doch Teresa zufolge führt kein anderer zum lebendigen Leben.
Sich mit anderen zu beraten, die schon weiter sind auf diesem Weg – auch das gehört zu Teresas therapeutischen Tipps. Die Sanftheit, mit der wir uns selbst und anderen begegnen sollen, steht für Teresa nicht im Widerspruch dazu, sich selbst, andere, die Kirche und sogar Gott liebevoll, aber deutlich zu kritisieren. Auch das ist ein Zeichen innerer Souveränität: Kritik furchtlos zu äussern.
Mir fällt das nicht leicht. Dabei wäre es vermutlich öfters nötig und hilfreich. Auch in meiner evangelischen, vermeintlichen „Kirche der Freiheit“ erlebe ich viel Anpassung und Angst. Und eben viel zu wenig Spiritualität.
Teresa hatte klare Vorstellungen – und die hat sie furchtlos verfolgt und ausgesprochen, klug wie eine Schlange und sanft wie eine Taube. Ihre Ordensreform ist meines Erachtens ein Beitrag zur Umsetzung des allgemeinen Priestertums. Im Sinne Teresas brauchen wir heute eine Kultur der Stille, die Raum schafft dafür, die eigene unbedingte Würde erfahren zu können. Und wir brauchen überschaubare Gemeinschaften. Denn nur in ihnen kann ein aufeinander bezogenes Leben überhaupt möglich sein.
Hervorzuheben ist auch Teresas Furchtlosigkeit als Frau, die bisweilen ihren Neid auf die Männer äussert, die frei nach aussen wirken dürfen. Und wir Frauen heute? Trauen wir uns, eine gendergerechte Theologie in die Praxis umzusetzen? Pflegen wir eine andere liturgische Sprache, bespielen wir die Freiräume, die wir haben?

Immer in Schwierigkeiten: Die drei Qualitäten der Quäker hängen untrennbar zusammen. Wer glücklich ist, erregt oft Neid und wird schnell zur Projektionsfläche Unglücklicher. Wer furchtlos ist, macht sich Feinde. Bei Teresa sind es reformunwillige Ordensleute und Kirchenmänner, mancher Orts-Bischof und selbst der damalige Nuntius.
Teresa muss mit vielen Problemen kämpfen: mit organisatorischen Konflikten und Strapazen, die mit ihren 19 Klostergründungen verbunden sind, mit immer wieder schweren und schmerzhaften Erkrankungen. Dieses Leben nötigt mir tiefen Respekt ab. Es lässt mich realistischer werden: Schwierigkeiten sind der Normalfall, was ich oft nicht wahrhaben will. Dabei wird den Idealen von Harmonie und Schmerzfreiheit doch so häufig ein Strich durch die Rechnung gemacht. Diese „Kreuze“ bleiben eine Herausforderung, die nicht so ohne Weiteres zu meistern ist. Dass sie dazugehören, ja, dass sie das Leben weitgehend ausmachen – auch dieses harte Brot reicht uns Teresa.

Teresas dialogische und therapeutische Mystik kann allen Menschen, unabhängig von Konfession oder Kirchenzugehörigkeit, zur Lebenshilfe werden. Weder geht es um einen puren Rückzug in die Innerlichkeit noch um irgendeine Form von Frömmelei. Die menschliche Würde selbst steht allzu oft auf dem Spiel. Sie für alle Menschen einzuklagen, dazu lädt Teresa ein. Und dazu bedarf es immer neu der Erinnerung daran, was uns, nach einem Gedicht von ihr, am tiefsten bindet: die göttlich-menschliche Beziehung.

Irene Leicht

 

Der Beitrag ist auch in der Zeitschrift Publik-Forum zu finden (Nr. 5/ 2015). Irene Leicht (50) ist Pfarrerin und Gestalttherapeutin. Sie leitet die Evangelische Stadtkirchenarbeit in Freiburg im Breisgau; zuvor war sie in der Evangelischen Erwachsenenbildung in Baden-Baden tätig. Sie referiert an der Jubiläums-Tagung vom 5. bis 8. November über „Teresas Wohnungen der Inneren Burg – dialogisch-therapeutische Mystik“ und hält einen Workshop zum Thema (Samstag 7. November; Gäste sind auch tageweise willkommen).

Zurück