12.12.2019 16:41

Reise in die Türkei – Christentum, Islam, Moderne

Was, du fährst zu Erdogan?

Die von mir seit mehreren Jahren geplante und ersehnte Türkeireise bot Christian Rutishauser nun endlich diesen Herbst an. Auf den Spuren Paulus würden wir das frühe Christentum, den Islam und die Moderne in Kleinasien und Istanbul entdecken. So war die Reise ausgeschrieben und so wurden wir im Vorbereitungstreffen darauf eingestimmt.

Meine ursprüngliche Reisebegleiterin konnte aus beruflichen Gründen leider nicht mitkommen. Also stand ich vor der Frage, ob ich allein oder mit jemandem anderem die vom Lassalle-Haus angebotene Reise machen würde. Meinem Mann war die Reise zu christlich ausgerichtet. Zwei Freundinnen, die ich anfragte, sagten mir relativ schnell ab: «Was, du fährst zu Erdogan?» Sie würden niemals in ein Land reisen, das grundlegende Menschenrechte missachtet, die Meinungs- und Informationsfreiheit nicht einhält und ethnische Minderheiten unterdrückt. Ein Land mit einem Präsidenten, der allen Frauen ein Kopftuch umbinden will, seine Kritiker ins Gefängnis steckt und vor Folter nicht zurückschreckt.

 

Wo die Störche sesshaft werden

Der erste bleibende Eindruck auf der Reise hinterliess bei mir die moderne Türkei mit dem neuen Flughafen von Istanbul. In Rekordzeit wurde dieser 40 Kilometer nördlich der 15-Millionen-Metropole Istanbul als grösster Flughafen Europas in die Landschaft betoniert; ein Prestigeprojekt des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Dazu gab es viele kritische Stimmen, die den gewählten Standort wegen der Vogelwanderungen für falsch hielten. Der Flughafen befindet sich in einem der grössten Zugvogelgebiete der Welt. Im Herbst flogen früher eine Million Störche zum Zwischenlanden in dieses Gebiet. Nun kann man beobachten, dass die Störche sesshaft werden.

 

Wo Paulus wirkte

Nach einem langen Marsch durch das riesige Flughafengebäude ging’s weiter mit der Turkish Airlines nach Zentralanatolien. Hierhin hatte ich ja gewollt, zu den alten Höhlenkirchen von Göreme. Es sind in Stein gemeisselte Kapellen, oft mit farbigen Fresken geschmückt, Bilderzyklen aus dem Leben Jesu. Sie dienten den Urchristen als Verstecke. Der Nationalpark Göreme liegt zwischen Nevsehir und Kayseri und ist UNESCO Weltkulturerbe. Landschaftlich ist das Gebiet einzigartig: Säulen, Kegel, Pilze und Felswände aus Tuff, einer kalkartigen Vulkanasche. Die Besichtigung der Felsenkirchen und die anschliessende Wanderung durch das wunderbare, verträumte Tal nach Göreme waren für mich zusammen mit dem paulinischen Ephesus und dem Besuch beim Patriarchen von Konstantinopel die christlichen Höhepunkte der Reise.

 

Wo der Islam omnipräsent ist

99 % der türkischen Bevölkerung sind Muslime, den Rest bilden Christen (0.15 %) und einige Juden spanischer Herkunft (0,02 %). In Aksaray einer grossen (über 400'000 Bewohner) zentralanatolischen Stadt erlebte wir den Islam in seiner vollen Ausprägung. In dieser Stadt gab es auch für uns keinen Alkohol. Die Bedienung war wie in den meisten Hotels nur männlich. Die Frauen trugen alle Kopftücher. Ein riesiges Spital, Schulen und eine Autobahn wurden gebaut. Erdogan setzt auch hier Zeichen seiner Macht. Die Bevölkerung dankt ihm dies mit den überall präsenten türkischen Fahnen.

Gerne erinnere ich mich an die täglichen frühen Rufe des Muezzins zum Gebet, die tanzenden Derwische, die schönen Moscheen, die Hagia Sophia und die bunten Marktstände mit ihren Händlern.

Eine harmonische Reisegruppe

Die zehntägige Reise war gut organisiert, ausserordentlich bereichernd und anregend. Christian und Serap, die türkische Reiseleiterin mit Temperament und guten historischen und örtlichen Kenntnissen, haben sich bestens ergänzt.

Allen 35 Mitreisenden möchte ich danken, dass wir die Reise harmonisch, intensiv und wohlgelaunt erleben konnten. Es gab wunderbare gemeinsame Momente: die Segnung von Elisabeth und Rico, das Schwimmen und Singen im Thermalwasser von Pamukkale, die Stimmung während der regnerischen Schiffsfahrt auf dem Bosporus, das Lachen am letzten Morgen im Bus. Ganz herzlich danken möchte ich meinen doch noch gefundenen Reisebegleitern Bernadette und Heinz.

PS: In der Nacht nach unserer Ankunft in Zürich hat die türkische Armee die Grenzen zu Syrien überschritten.

Liselotte Käser Felder

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