25.07.2017 16:14

Die Reduktionen: Reich Gottes auf Erden

Die so genannten Reduktionen – die Missionsdörfer in Lateinamerika – waren ein visionäres jesuitisches Projekt, das die spanische Krone vor 250 Jahren zerschlagen hat. Doch die Idee eines Verbundes von Menschen, die nach gerechten Verhältnissen streben, lebt weiter: Im Gedenken an das Vertreibungsjahr 1767 wird das Stück «Das heilige Experiment» von Fritz Hochwälder im Theater Orchester Biel Solothurn neu inszeniert. Premiere ist am 2. September in Solothurn.

Hochwälder setzt das Jesuiten-Collegio von Buenos Aires ins Zentrum. Hohe Gäste aus Europa kommen im Juli 1767 zu Besuch: Abgesandte des spanischen Königs und des Papstes bezichtigen die Jesuiten, einen Staat im Staate errichtet zu haben – weltliche Konkurrenz und nicht tolerierbares basis-christliches Experiment. Gutsbesitzer und Kaufleute fordern ebenso laut das Ende der jesuitischen Mission. Unerbittlich folgen Verhörszenen, Tribunale, Verhaftungen. Bis sich die Jesuiten entscheiden müssen: Widerstand oder Gehorsam?

Autor Fritz Hochwälder (1911–1986) war Sohn eines jüdischen Tapezierers in Wien. Seine Eltern wurden im KZ ermordet, er aber hatte sich 1938 den Rhein durchschwimmend in die Schweiz retten können. Im Internierungslager Gordola im Tessin untergebracht, fand er in der Bibliothek des Collegio Papio in Ascona den Stoff zu seinem Stück. «Bei näherer Beschäftigung erkannte ich die einzigartige Möglichkeit, die Fragen nach sozialer Gerechtigkeit und dem Reich Gottes auf Erden durch Ansiedlung in einem geschichtlichen Raum zu objektivieren und unserer Zeit nahezubringen», schrieb Hochwälder, der nach Kriegsende international bekannt wurde und zahlreiche Literaturpreise gewann.  «Das heilige Experiment» diente in späteren Jahren als Vorlage für den Oscar-prämierten Film «The Mission» und fiel damals auch dem jungen Max Frisch auf: «Ihr Stück hat mich von Anfang bis Ende in äusserster Spannung gehalten; es ist dramaturgisch von beneidenswerter Meisterschaft (…)», schrieb dieser 1947 an Fritz Hochwälder.

Die jesuitischen Missionsdörfer beflügelten immer wieder die Phantasie von Schriftstellern, Philosophen, Theologen und wurden je nach Blickwinkel benannt als Jesuitenstaat, Reduktionen, Heiliges Experiment, christlich-kommunistische Republik, verlorenes Paradies, Land ohne Übel… Christian Rutishauser, der am 2. September mit Lassalle-Haus-Direktor Tobias Karcher an der Premiere in Solothurn dabei sein wird, widmete den Missionsdörfern vor kurzem die Sonntagspredigt in der Jesuitenkirche Luzern. Ihn beschäftigt vor allem das Dilemma, in denen die Jesuiten damals steckten: Sollten sie mit Gewalt die Reduktionen verteidigen und somit ihre Ideale verraten? Sollten die Indios zur Waffe greifen, um sich gegen die Versklavung zu wehren? Jesuitische Kulturarbeit hatte in die Geschichte hineingeführt. Dabei verstrickt man sich immer auch in Schuld. Das Reich Gottes ist nicht rein zu haben. So fragt sich der sterbende Provinzial im Theaterstück angesichts der Zerstörung der Reduktionen: War alles um sonst? Sind wir selbst zu weit gegangen? Haben wir uns in den Aufbau eines weltlichen Gemeinwesens hinein verloren? Sind wir selbst in die Kolonisation hinein verstrickt? Vor allem aber: Ist das Ideal, gewaltfrei und schuldlos das Reich Gottes aufzubauen nicht eine Eingabe des Widersachers? Will das Gott? Rutishauser weiter, auf die aktuellen Bezüge im Stück und unseren Kontinent bezogen: Sie wollen gute Christen sein und keine Fehler machen. Doch sie haben den Mut verloren, missionarisch zu sein, weil sie um die Schuldgeschichte wissen. Missionarisch sein gehört aber zum Christsein. Dabei geht es heute nicht um fremde Kontinente. Es geht darum, aus dem Glauben heraus die Gesellschaft hier in Europa mitzuprägen.

«Das heilige Experiment» ist vom 2.9. bis 7.11.2017 im Theater Orchester Biel Solothurn zu sehen (www.tobs.ch Tel. 032 328 89 70 Biel/ 032 626 20 70 Solothurn).

Und wer gleich vor Ort auf Recherchetour gehen will, dies als Vorankündigung: Missionsprokurator Toni Kurmann SJ wird Ende April/Anfang Mai 2018 eine Lassalle-Haus-Reise durch Paraguay und Kolumbien leiten.

Zurück